PHILIPP SCHREINER
Anna Nero – Slippery Slope
Oder: Die Onomatopoesie der Dinglichkeiten
Wenn sich die wuchtige mehrere Meter hohe Tür aus Glas und goldig-glänzendem Metallrahmen geschlossen hat, wenn das Geräusch der kratzig über den Marmorboden schleifenden Borsten unterhalb des Rahmens verklungen ist, wenn sich also das Tor zum Zündkerzen-Hof im Erdgeschoss des MdbKs geschlossen hat, dann, ja dann – pssst! – lassen sich bei aller visuellen Überwältigung, lautmalerische Klänge der bildnerisch-besonderen Art erhaschen. Die Ausstellung Slippery Slope von Anna Nero (geb. 1988 in Moskau) ist nicht nur ein visuelles Feuerwerk übertrieben glänzender Flächen und poppig leuchtender Farben. Denn gleichzeitig dazu erklingt ein onomatopoetisches Konzert – Glitsch! – schmatzend kriechender und – Peng! – bedrohlich knallender Dinglichkeiten.
Dinglich heißt so viel wie gegenständlich, konkret, in der Realität vorhanden. Alles Dingliche sei Dreidimensional, nur deshalb sei es als solches erfahrbar. Anna Nero stellt diese im Duden zu findende Definition der Dinge auf die Probe. Sie fragt: Wann werden malerische Gesten zu Gegenständen oder Räumen? Wann Farben und Striche im Bild zum Subjekt? Angetrieben von einer Leidenschaft für das Artifizielle, das Künstliche, und einer Lust an der Übertreibung, schafft Anna Nero frivol anmutende, verspielte Malereien und Keramikobjekte. Diese Liebe geht so weit, dass sich in Anna Neros Œuvre kein einziges Querformat finden lässt, da es klassischerweise für Landschaftsdarstellungen gebraucht wird. Die Natur wird verbannt aus ihren Bildern. Anna Neros Arbeiten sind Manifeste für die Phantasie, für das rein Menschengemachte.
All is Fair in Love and War, 180 x 130 cm, oil and acrylic on canvas, 2021.
Platsch! Ein dicker pinker Tropfen in Neros Gemälde All is fair in love and war (2021) ist gerade vom wattebauschigen Wolkenhimmel auf den Boden des samtig-lila Farbraums geklatscht. Schlurp. Schlurp. Schlurp. In Pill Hill (2020) glitscht ein wurmartiges Etwas in Richtung Abgrund. Unter dem Titel Him and Her (2020) streicheln hauch-zarte Stoffbahnen in Blau und Rosa sanft das Grau des Untergrunds. Bling. Bling. Flirrende Unruhe auch bei den glasierten Keramiken auf den türkisfarbenen Sockeln in der Raummitte. Ihre glänzenden Oberflächen glitzern vom Einfallen der Lichtstrahlen, die den Weg durch die dicke Glasfassade der Ausstellungshalle gefunden haben.
Ob Plastik oder Gemälde, es dominiert das Kunstmäßige in Anna Neros Werken. „Vorsicht Rutschgefahr“ müsste am Eingang zu ihrer Werkschau Slippery Slope stehen, denn es besteht akute Gefahr den rutschigen Hang hinab zu gleiten. Der Blick gebannt durch Neros ausgeprägten Sinn für reizvolle Oberflächen, sinnliche Stofflichkeit und illusionistische Materialität, gerät der Schritt ins Wanken beim ersten Geräusch der Gegenstände. Wir verlieren den Halt und sausen hinab in eine Welt voll prächtiger Farbfelder, lustvoller Linien und glattgelutschter Banalitäten. Wir lassen uns verführen vom Klang der Objekte, vom Schmatzen und Säuseln und Knallen, und sind angekommen im audiovisuellen Spektakel der Onomatopoesie der Dinglichkeiten.
Ausstellungsansichten
"Anna Nero. Slippery Slope",
MdbK Leipzig 2022.