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Rozbeh Asmani und die künstlerische Aneignung enteigneter Allgemeingüter – oder: Wem gehört der Geruch von frisch gemähtem Gras?

Wimbledon ist das größte, wichtigste und gleichzeitig einzige Grand Slam Tennisturnier, das auf Rasen ausgetragen wird. Der englische Rasen ist weltberühmt. Pro Turnier kommen 250 Spielerinnen und Spieler sowie über 54.000 leuchtend-gelbe Tennisbälle damit in Berührung. Ein Team von 35 Groundsmen, die Gärtner von Wimbledon, pflegt und hegt die Tennisplätze das gesamte Jahr über. Für das größte Tennisevent überhaupt, muss der Rasen auf allen Courts die exakte Höhe von acht Millimetern aufweisen, weshalb er an jedem Turniertag um 2 Millimeter gekürzt wird. Somit entsteht jede Menge frisch gemähtes Gras, das seinen Duft über die Arenen verbreiten kann – täglich aufs Neue, zwei Wochen lang.

Der Geruch von frisch gemähtem Gras in Verbindung mit Tennisbällen wurde im Jahr 2000 erstmalig beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) als Geruchsmarke eingetragen. Eine niederländische Firma ließ ihre mit Duft versehenen Tennisbälle schützen. Dadurch war „The smell of fresh cut grass“ im Zusammenhang mit der Warengruppe 28 (Tennisbälle) markenrechtlich vergeben.

Seit 2009 beschäftigt sich der im Iran geborene Künstler Rozbeh Asmani (*1983 in Shiraz) mit dem für Deutschland gültigen „Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen“. Vor allem die Farben, also „sonstige Kennzeichen“, die Firmen als Teil ihrer Corporate Identity seit 1994 anmelden dürfen, gerieten in Asmanis Fokus. Mit seiner fortlaufenden Serie Colourmarks überführt er die, von Unternehmen geschützten und damit in Besitz genommenen, Farben beziehungsweise Farbkombinationen in den Kunstkontext und gibt sie somit der Allgemeinheit zurück.

Mit The Smell Of Fresh Cut Grass (2019) führt der Künstler diese Recherche nun konsequent fort. Die elf neongelben Kreise aus Filz, samt weißem Aufdruck, verweisen ironisch und humorvoll auf die Anmeldung eines Geruchs in Verbindung mit einem Markenprodukt. Die bereits aus Colourmarks bekannte subversive Aneignungsstrategie, gerät in Asmanis neuester Auseinandersetzung mit dem Markenrecht aufgrund ihrer werkimmanenten Qualtäten beinahe in den Hintergrund. Denn The Smell Of Fresh Cut Grass ist eine multisensorische Erfahrung in geschickter Verknüpfung von Materialität, Geruch und Poesie.

Sie kombiniert die Stofflichkeit des Filzes, dessen feine Härchen berührt werden wollen, mit der visuellen Anziehungskraft des Neongelbs. Beides zusammen weckt Assoziationen zum Tennisball und der damit verbundenen Sportart. Als dritte sensorische Ebene animiert der Schriftzug unser Geruchsgedächtnis und lässt uns etwas riechen, wo eigentlich nichts zu riechen ist. Durch den ästhetischen Schleier, der über das Werk gelegt ist, entsteht ein wechselseitiger Austausch zwischen sinnlicher Präsenz und gleichzeitiger Absenz dieser Sinnesreize. Es ist ein Spiel zwischen Materialität und Immaterialität, das den Betrachtenden eine Haupteigenschaft von Geruch als olfaktorisch-künstlerisches Mittel offenbart: seine Unsichtbarkeit.

Dieses dialektische Spannungsfeld zwischen Subversion und ästhetischer Inszenierung, dieses sowohl als auch, findet sich als Gleichnis ebenfalls in den Naturphänomenen wieder, die unmittelbar mit Asmanis Arbeit verknüpft sind. Nämlich ist das, was wir nach dem Rasenmähen als angenehmen Duft wahrnehmen, die Wirkung sogenannter „Grüner Blattduftstoffe“. Verletzt sich eine Pflanze, werden diese unmittelbar freigesetzt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ursache ein Rasenmäher oder ein Fressfeind ist. Einerseits unterstützen die Grünen Blattduftstoffe die Wundheilung und schützen die Pflanze vor bakteriellen Infektionen; andererseits dienen sie als Kommunikationsmittel, indem sie andere Insekten anlocken, die Jagd auf die Angreifer machen. Der wahrnehmbare Geruch ist ein Gemisch verschiedenster flüchtiger Verbindungen (unter anderem Alkohole und Aldehyde). Darin enthalten ist auch der Auslöser des Grasduftes: cis-3-Hexen-1-ol, eine farblose und ölige Flüssigkeit. Die erfrischend anregende Substanz wird mittlerweile industriell hergestellt und in Parfums oder in der Lebensmittelindustrie als Aromastoff verwendet.

Die markante Essenz hat sich als kollektive olfaktorische Erinnerung, ja als archetypischer Geruch, manifestiert und kann unabhängig von der kulturellen Herkunft kognitiv-emotional abgerufen werden. Darüber hinaus trägt auch der neongelbe Farbton, der von den meisten Menschen direkt mit Tennis und dessen Spielbällen assoziiert wird, zum kanonischen Charakter und Wiedererkennungswert der Wandinstallation bei. Bis in das Jahr 1986 waren Tennisbälle allerdings weiß. Da das Weiß auf den Übertragungsgeräten des Fernsehens jedoch nicht gut zu erkennen war, wurden die Bälle fortan in Neongelb produziert. Mediengeschichtlich also eine Zäsur – denn letztlich führte die mangelnde Sichtbarkeit der Bälle auf den TV-Geräten zur Veränderung deren Phänotyps und die Erinnerung an weiße Tennisbälle wurde weitgehend durch ihre neue medienkompatiblere Farbe überschrieben.

Mit dem Aufdruck „The smell of fresh cut grass“ (in elf verschiedenen Sprachen) erweitert Rozbeh Asmani die koloristische Dominanz seiner Werkreihe Colourmarks um eine textuelle Ebene von poetischem Potenzial. Unterschwellig hinterfragt er mit der Zeile, wem der Geruch von frisch geschnittenem Gras eigentlich gehört. Doch der Einwand ist schnell wieder vergessen, weil wir dank unserer daran geknüpften Assoziationen längst auf einer duftenden Wiese oder einem der wohlriechenden Tennisplätze in Wimbledon stehen. Bei all der Tagträumerei stellt sich am Ende dennoch leichtes Unbehagen ein, da wir nicht sicher sein können, woher diese Verknüpfungen eigentlich stammen. Haftet an unserer Erinnerung eine werbebotschaftliche Suggestion? Oder ruft der Geruch von frischem Gras tatsächlich eine eigene Erfahrung auf, die wir selbst erlebt haben?

Wirkmächtig prangen die neongelben Kreise an der Wand. Tragen Worte, wie aus einem Gedicht oder Popsong entsprungen. Leuchtreklamen gleich, ziehen sie unsere Blicke auf sich, lassen uns herantreten. Die Bildunterschrift ein Weckruf. Hier wird ein Missstand offenbart; die Enteignung von Allgemeingütern durch die Industrie. Und plötzlich die Erkenntnis: The Smell Of Fresh Cut Grass ist ein Grüner Blattduftstoff. Cis-3-Hexenol, das nach unserer Aufmerksamkeit schreit. Eine flüchtige Erscheinung, die unsere Sinne verführt.

 

Rozbeh Asmani                                                         

The Smell Of Fresh Cut Grass, 2019

11 neongelbe Filzkreise mit Dispersionslack

je 40 x 40 cm (gerahmt 53 x 53 cm)

Auflage: 3 + 2 E.A.

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